Im Februar 2020 hatte ich einen Blog geschrieben mit dem Titel „Innovation in Deutschland“, in dem ich mich besorgt und kritisch darüber geäußert habe, wie Deutschland bezüglich Innovation und neuen Technologien immer weiter zurückfällt. Die echten technologischen Innovationen kommen weiterhin meist aus dem Silicon Valley oder auch beispielsweise aus Israel. Aber sind wir wirklich so schlecht, so weit hinterher oder vielleicht sogar schon abgeschlagen? Haben nicht gerade in der jüngsten Vergangenheit Firmen wie Biontech und CureVac wieder einmal das Gegenteil aufgezeigt? Was ist die Marke “Made in Germany” noch wert?
Startups in Deutschland
In den letzten Monaten habe ich mich etwas intensiver mit Startups in Deutschland auseinandergesetzt. Dabei habe ich nur einen sehr kleinen Bruchteil kennengelernt und es gibt sicherlich viele andere, die diese Szene schon viel länger und viel besser kennen und daher auch viel fundierter über diese berichten können. Aber für jemanden wie mich, der sich, wie schon erwähnt, immer kritisch mit der Rolle Deutschlands als Technologiestandort auseinandergesetzt hat, war dies eine Erfahrung, die mir wieder großen Mut macht. Wir brauchen uns keineswegs hinter irgendjemandem zu verstecken, wenn es um Talente, Kreativität und Risikobereitschaft geht. In meiner Generation wollte die Mehrheit der Studienabgänger nach dem Studium typischerweise bei einem der Platzhirsche in der Industrie angestellt werden, um sich dort möglichst schnell hochzuarbeiten. Auch ich habe mich damals bewusst für diesen Weg entschieden.
Von der Uni zum Gründer
Während dem Studium habe ich bei einem Startup als Software-Entwickler gearbeitet. Den Begriff „Startup“ gab es damals allerdings noch nicht einmal. Ich bekam nach dem Studium das Angebot vom Gründer für eine Festanstellung, aber ich habe dieses Angebot damals nicht angenommen. Heute ist diese Firma, die im Erdgeschoß einer Altbauwohnung mit Werkstudenten angefangen hat, ein sehr erfolgreicher Mittelständler in der Software-Industrie. Wie wäre es für mich gelaufen, wenn ich dortgeblieben wäre? Das bleibt leider reine Spekulation, aber ich stelle mir diese Frage auch heute noch hin und wieder. Ich habe heute sehr großen Respekt vor den jungen Leuten, die ihr Studium beenden und dann ihre eigene Firma gründen, um ihre eigenen Ideen zu verwirklichen. Man liest oder hört meist nur über die Erfolgsgeschichten, in denen die großen Millionenfinanzierungen auf die jungen Gründer niederprasseln. Man spricht selten über die vielen anderen, die sich mit kleinen Finanzierungen oder ganz ohne Fremdhilfe durchbeißen, die sozusagen rund um die Uhr und sieben Tage die Woche für ihren Traum des eigenen Unternehmens arbeiten. Ich habe einige von diesen kennengelernt und ich bin mir sicher, dass wir von dem ein oder anderen in den nächsten Jahren noch hören werden.
Visionen glaubwürdig verkaufen
Während man fast täglich über hohe Investitionen in amerikanische Startups hört, teilweise im dreistelligen Millionenbereich, fragt man sich, warum das nicht in dem Maße auch in Deutschland möglich ist. Sicherlich, einige dieser Firmen haben geniale Ideen und Geschäftsmodelle. Allerdings fragt man sich bei anderen wiederum, ob hier nicht zu sehr auf wilde Fantasien und heiße Luft gesetzt wird. Ich bin mir absolut sicher, dass sich die “Gründer made in Germany” bezüglich Kreativität, Intelligenz und Innovationsgeist nicht hinter der Konkurrenz aus dem Silicon Valley, aus Israel oder sonst irgendwo auf der Welt verstecken müssen. Aber vielleicht limitiert uns auch einfach nur unser kultureller Hintergrund. Wir Deutschen tun uns im Allgemeinen recht schwer, unsere Visionen überzeugend zu verkaufen. Wir zweifeln oft ein wenig an uns selbst, wenn wir nicht alles zu hundert Prozent belegen können. Wir konzentrieren uns oft auf die zwanzig Prozent Risiko und schieben die achtzigprozentige Chance in den Hintergrund.
Die richtigen Mitstreiter finden
Auch ist es für die Gründer hier oft nicht einfach, die geeigneten Mitarbeiter zu finden, die die richtige Einstellung mitbringen. Nicht selten gibt es sehr viele Interessenten für offene Positionen bei Startups, aber schon im Interview wird recht schnell klar, dass wichtig klingende Titel und hohe Fixgehälter wichtiger sind als Risiko- und Einsatzbereitschaft. Man will klare Jobbeschreibungen und Verantwortlichkeiten. Es fehlt einfach der wirkliche Wille über den Tellerrand hinauszuschauen, die Ärmel hochzukrempeln und auch mal die vielzitierte Extrameile zu gehen. Aber es gibt zum Glück auch die Bewerber der anderen Sorte. Nämlich diejenigen, die ihre Motivation daraus ziehen, etwas Neues aufzubauen und nicht nur an der Vision des Gründers mitzuarbeiten, sondern diese auch weiterzuentwickeln und vor allem umzusetzen.
Deutschland in Schlüsselindustrien abgehängt
Die Automobilindustrie hat es schmerzlich gezeigt, dass wir unseren Ruf des Landes der Erfinder und Ingenieure nicht allein den Großunternehmen überlassen sollten. Für mich ist es immer noch ein Schlag ins Gesicht unserer sogenannten Vorzeigeindustrie, dass die Elektromobilität von einem amerikanischen Visionär angeführt wird, der vorher noch nie ein Auto gebaut hat. Natürlich kommen dann immer wieder die Argumente, dass deswegen auch die mechanische Qualität der Autos noch sehr zu wünschen übriglässt. Aber auch das wird Tesla sicherlich schnell in den Griff bekommen. Technologisch sind sie mittlerweile definitiv meilenweit davongeeilt. Aber es geht hier nicht nur um die Automobilindustrie. In der IT-Industrie spielt “Made in Germany” ebenso schon lange keine große Rolle mehr, abgesehen vielleicht vom erfreulichen Einzelfall SAP.
SaaS-Lösungen als Chance für den Standort Deutschland
Wenn es um Hardware wie mobile Endgeräte oder auch Halbleitertechnologie geht, dann ist der Zug für uns schon lange abgefahren. Aber bei Software und insbesondere SaaS-Lösungen sieht das immer noch ganz anders aus. Hier brauchen wir uns absolut vor nichts und niemandem zu verstecken. Warum sollen deutsche Gründer weniger kreativ und innovativ sein als die aus dem Silicon Valley? Wir können heute auch hier mit den besten Talenten aus aller Welt zusammenarbeiten und brauchen sie dafür nicht mehr unbedingt an den deutschen Standort zu holen. Wir müssen vielleicht lernen, etwas lauter zu werden. Damit meine ich nicht, unrealistische Fantasien zu verbreiten oder die typischen Phrasen zu dreschen. Es geht vielmehr darum, wie wir unsere Visionen, unsere Ideen und unser Potential besser verkaufen, damit auch wir einen fairen Teil des großen Finanzierungskuchen abbekommen, um dann damit diese Visionen schneller zu realisieren und auf die Überholspur zu wechseln. Ich habe mich vor einigen Wochen noch einmal bewusst dafür entschieden, daran aktiv mitzuarbeiten und meinen Teil dazu beizutragen. Ich bin sicher, es gibt sehr viele, die ähnlich denken. Wir können der Marke „Made in Germany“ wieder einen neuen glanzvollen Anstrich verpassen!