Babyboomer Ü50 Lebenslauf

Babyboomer und ein krummer Lebenslauf

Ich bin ziemlich weit Ü50, das heißt ich bin ein Vertreter der in der letzten Zeit so viel diskutierten Babyboomer. Die sind ja ganz offensichtlich mehr oder weniger alleine schuld an der Klimakrise und auch daran, dass die sogenannte Generation Z jetzt so sehr für die Work-Life-Balance kämpfen muss. Bevor jetzt die ersten nicht weiterlesen und schon über mich herfallen, möchte ich gleich klarstellen, dass ich schon vor 17 Jahren aus der 70-Wochenstunden-Tretmühle ausgestiegen bin und mir auch große Sorgen mache wegen dem Klimawandel. Aber wenn man sieht, welche Probleme anscheinend viele Menschen über 50 haben, einen adäquaten Job zu finden, muss ich mich schon sehr wundern – und das trotz großer Erfahrung und viel Energie. Den Fachkräftemangel muss ich eigentlich nicht ausdrücklich erwähnen. Ich selbst habe auch vor ein paar Jahren diese Erfahrung gemacht. Und neben den bedenklichen Alter habe ich auch noch einen „krummen Lebenslauf“.      

In manchen Berufszweigen ist man mit Ü70 ein Superstar

Im Juni 1985 habe ich Bruce Springsteen das erste Mal live gesehen. Damals war er knapp 36 Jahre alt und ich war beeindruckt wie er mit seiner E-Street-Band über 60.000 Menschen im Frankfurter Waldstadion dreieinhalb Stunden lang begeistert hat. Vielleicht zum letzten Mal habe ich ihn im Juli 2023 im Münchner Olympiastadion gesehen – knapp 74 Jahre alt. Zwei seiner alten Bandkollegen sind schon vor einigen Jahren verstorben, die anderen sind mittlerweile auch zwischen 72 und 74 Jahre alt. Vergleicht man die beiden Konzerte, dann gab es außer den fast 40 Jahren, die dazwischenliegen, nur einen Unterschied: die Show in 2023 dauerte „nur“ zwei Stunden und 45 Minuten. Ansonsten die gleiche Energie. Ja, vielleicht gab es ein paar melancholische Momente mehr als früher. Aber das sei einem Musiker, der seit mehr als 50 Jahren auf der Bühne steht, auch gegönnt. Ob man die Musik von Bruce Springsteen mag oder nicht, es ist einfach beeindruckend, wieviel Energie dieser Mann auch mit 74 Jahren noch auf die Bühne bringt. Zumindest bei seinen Fans scheint sein Alter überhaupt keine Rolle zu spielen. 70.000 Menschen waren in da und wahrscheinlich wären dreimal so viele gekommen, wenn es noch Tickets gegeben hätte. Alleine in den ersten Reihen vor der Bühne war jede Altersgruppe zwischen 10 und 75 Jahren vertreten. Und wenn man Bruce Springsteen in 2023 auf einem seiner Konzerte gesehen hat, hält man es durchaus für möglich, dass es doch noch nicht seine letzte große Tour war.

Bruce Springsteen

Babyboomer und das Interim Management

Ich habe in den letzten Monaten unzählige Beiträge und Diskussion über die Generation der Babyboomer und der Ü50 gelesen. Man wird schnell nur aufgrund seines Geburtsdatums erstmal gleich in eine Schublade gesteckt. Meistens ist es eine ziemlich weit unten. Aber zum Glück gibt es eine Branche, in der das Alter keine Rolle spielt, sondern nur die Erfahrung zählt: das Interim Management. Man wird dort auch noch als Ü60 geschätzt und kann sich sozusagen als „Manager auf Zeit“ erfolgreich nicht nur in einem Unternehmen einbringen, sondern dieses auch entscheidend voranbringen. Denn gute und effektive Zusammenarbeit hat absolut nichts mit dem Alter zu tun, sondern vielmehr mit der eigenen Energie und Motivation, mit der man die Sache angeht, mit gegenseitigem Respekt und ob die eigene Person und Arbeitsweise in die jeweilige Unternehmenskultur passen. Nicht zuletzt auch dank der Aktivitäten des DDIM e.V. (Dachgesellschaft Deutsches Interim Management) ist Interim Management heute ein anerkannter Berufsstand und die Branche wächst beständig.

Was ist eigentlich ein krummer Lebenslauf?

Diesen Begriff habe ich in letzter Zeit auch öfters gelesen. Aber was ist eigentlich ein krummer Lebenslauf? Im Prinzip genau das Gegenteil von dem, was so oft an der Nachkriegsgeneration kritisiert und manchmal auch ins Lächerliche gezogen wird: in einem Unternehmen die Ausbildung machen und dann dort bis zur Rente bleiben. Was erwarten denn Unternehmen und ihre Personalabteilungen denn jetzt wirklich von einem Bewerber? Bis 2006 hatte ich einen ziemlich geraden Lebenslauf. In meiner zweiten Anstellung nach dem Studium habe ich 16 Jahre lang eine ganz gute Karriere bei einem globalen Technologiekonzern hingelegt. Trotz finanzieller Anreize und guten Chancen, noch weiter die Leiter hochzuklettern, habe ich dann aber meinen Lebenslauf krumm gemacht. Aus einer geplanten kurzen Auszeit in Brasilien sind 10 Jahre geworden, in denen ich viele spontane Entscheidungen getroffen habe – ganz ohne Strategiemeetings und OKRs. Ich habe eine heruntergekommene „Pousada“ renoviert und ohne jegliche Erfahrung in der Hotellerie diese dann Anfang 2007 eröffnet. Geschlossen habe ich sie in 2014 und später wieder verkauft. Mittlerweile hatte ich mir nämlich ein zweites Standbein aufgebaut, das mir doch näher war als das Übernachtungsgewerbe: Consulting und Interim Management für deutsche Unternehmen, die Brasilien als Markt entdeckt hatten. Hier schließt sich auch der Kreis zur Gegenwart.

Andere Erfahrungen sammeln

Die Zeit in Brasilien war im Rückblick ein sehr wichtiger Lebensabschnitt für mich. Neben dem Leben in einem faszinierenden Land hat mich diese Zeit auch zu dem gemacht, der ich heute bin. Natürlich gab es dort auch viele Herausforderungen, aber gerade diese Erfahrungen helfen mir noch heute:

  • Nicht zu schnell aufgeben, auch wenn man gerne mal alles hinwerfen will. Von den vielen Europäern, die ich in den ersten Jahren kennengelernt habe, war bei meinem Abschied aus Brasilien kein einziger mehr da.
  • Nicht nur die Sprache lernen, sondern sich auch an die Kultur anpassen, ohne die eigenen Werte zu verlieren – manchmal ein ziemlicher Spagat.
  • Nicht alles akribisch planen und dann daran festhalten. In Brasilien muss man sich jeden Tag neu erfinden und die Brasilianer sind Vorbilder bezüglich Agilität im täglichen Leben.
  • Auch mal den Mut haben, aus seiner Komfortzone rauszugehen. Sechs Monate mit brasilianischen Arbeitern eine Renovierung durchzuziehen und Mitarbeitende für Rezeption, Zimmerreinigung und Küche einzustellen waren eine lehhreiche Erfahrung für einen ehemaligen Manager aus der IT-Branche. Und die Diversität der Kunden im Hotelgewerbe ist wahrscheinlich kaum zu übertreffen.
  • Den richtigen Zeitpunkt finden, um auch wieder „den Stecker zu ziehen“. Es war dann nach einiger Zeit genau der richtige Zeitpunkt, mich wieder meiner ursprünglichen beruflichen Leidenschaft zuzuwenden und auch später nach zehn Jahren wieder nach Deutschland zurückzukehren.

Andere Erfahrungen in anderen Kulturen und Branchen relativieren vieles und man schaut danach auf viele Dinge aus einer anderen Perspektive. Vor allem bleibt man oft auch gelassener. Mein Buch „Jenseits von Samba und Karneval“, in dem ich einige meiner Erfahrungen zusammengeschrieben habe, mag für viele vielleicht zu kritisch sein, aber vielleicht auch genau deshalb möchte ich meine Zeit in Brasilien auf keinen Fall missen. Das Buch beschreibt außerdem auch mehr die Probleme, denen man dort als Unternehmer begegnet, und nicht das private Leben und Umfeld. Übrigens, auch die Fußballweltmeisterschaft dort in 2014 war ein unvergessliches Erlebnis. Zumindest konnte man da noch über die deutsche Nationalmannschaft jubeln.

Die Musikbranche als Vorbild nehmen  

Bruce Springsteen hat zwar nie wirklich etwas anderes als Musik gemacht, aber sein Lebenslauf war auch nicht immer gerade – mit allen Höhen und Tiefen. Die erste Band als Teenager Ende in den 1960er Jahren. Dann Neuorientierung mit der ersten Besetzung der legendären E-Street-Band Anfang der 1970er Jahre. Der Durchbruch mit dem Album „Born to Run“ und danach die Umbesetzung der Band. Der kommerzielle Erfolg mit „Born in the USA“ in 1984, dann Auflösung der E-Street-Band 1989. In den 1990er Jahren Umzug an die Westküste und Start einer Solokarriere. Mit der Reunion der E-Street-Band 1999 schließt sich der Kreis wieder. Auch seine Musik hat sich in all den Jahren immer mal gewandelt. Von den unendlich langen Texten der Anfangszeit über die mehr populäre Musik in den 80ern und den ruhigeren Werken in den 90ern und 2000er Jahren bis hin zum alten Springsteen-Sound in 2022. Weder die unterschiedlichen Wege, die Bruce Springsteen über die Jahre hinweg eingeschlagen hat, noch sein Alter haben seinem Erfolg bis heute jemals im Wege gestanden. Also, nehmen wir uns die Musikwelt als Vorbild. Da scheint es offensichtlich kein Schubladendenken zu geben.

Keep rocking!

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