Ein großer strategischer Wendepunkt

In meinem allerersten Blogartikel im Dezember 2019 habe ich bereits über das Thema strategischer Wendepunkt geschrieben. Seitdem habe ich mit vielen meist kleineren bis mittelgroßen IT-Unternehmen zusammengearbeitet, von denen einige genau an diesem strategischen Wendepunkt angelangt waren. Manche das erste Mal, manch andere schon zum wiederholten Male. Dies hat dann meist zu größeren Transformationen geführt mit einschneidenden Veränderungen bezüglich Strategie und Organisation. Vielleicht ist es nur meine subjektive Wahrnehmung, aber es scheint als hätte das Thema Transformation generell nie mehr im Vordergrund gestanden als in den letzten Monaten.

Der strategische Wendepunkt in Unternehmen

Andy Grove, ehemaliger CEO der Intel Corporation, hat den „Strategic Inflection Point“ schon vor vielen Jahren in einem seiner Bücher ausführlich beschrieben. Da ich mich hier nicht wiederholen möchte, kann man das gerne im schon genannten Blogartikel „Der strategische Wendepunkt“ nachlesen. In einem Unternehmen entscheidet ein strategischer Wendepunkt fast immer über den nächsten Höhenflug oder den Niedergang. Die beiden Grafiken unten zeigen den Umsatzverlauf von zwei großen Unternehmen, die für mich beispielhaft für den strategischen Wendepunkt sind. Das eine Unternehmen (Grafik links) hat mehrere Wendepunkte bisher immer gut für neues Wachstum genutzt. Das andere (Grafik rechts) ist zwar nicht komplett vom Markt verschwunden, hat aber sehr viel von seinem einstigen Glanz verloren, weil es einen entscheidenden strategischen Wendepunkt ignoriert hat. Wer erkennt die beiden Unternehmen?

Strategischer Wendepunkt

Es handelt sich hier um keine geringeren als Apple (links) und Nokia (rechts). Aber was für Unternehmen gilt, kann ebenso auch für ganze Industrien, politische Systeme, Regionen, Länder oder sogar die gesamte Welt gelten.

Wir befinden uns an einem entscheidenden Wendepunkt

Der Wandel in der Automobilindustrie, der Energiewandel, die globalen politischen Machtverschiebungen, künstliche Intelligenz und nicht zuletzt der Klimawandel sind nur einige Beispiele ganz großer strategischer Wendepunkte, die schon jetzt viel größeren Einfluss haben als nur über die Zukunft eines einzelnen Unternehmens zu entscheiden. Und einige der hier genannten Beispiele beeinflussen sich auch noch untereinander. Ohne den Klimawandel würden wir möglicherweise nicht den Wandel in der Automobilindustrie hin zur Elektromobilität sehen. Der Klimawandel hat sicherlich auch schon ein erstes Umdenken in der Energiepolitik angeregt. Der wirkliche Auslöser für erste Schritte hin zu einem wirklichen Energiewandel war jedoch der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine und die damit steigenden Energiepreise. Es geht eben alles immer ein bisschen schneller, wenn man es am eigenen Geldbeutel spürt. Bei künstlicher Intelligenz stehen wir mit Sicherheit noch ganz am Anfang. Aber spätestens seit ChatGPT nimmt das Thema richtig Fahrt auf, da es für die meisten erst jetzt richtig greifbar wird. Man hat ganz plötzlich eine Ahnung, wie solche Technologien das Potential haben, beispielsweise ganze Berufsgruppen überflüssig zu machen und so den Arbeitsmarkt komplett auf den Kopf zu stellen.

Die Rolle Deutschlands an diesem Wendepunkt

Nimmt man die genannten Beispiele und schaut man auf Deutschland (nicht nur in der Nacht), dann ist man um den Schlaf gebracht – frei nach Heinrich Heine. Bei der Elektromobilität hätten wir sehr wahrscheinlich vor vielen Jahren die Nase ganz vorne haben können. Tesla hat gezeigt, trotz aller Kritik insbesondere an seinem Gründer, wie ein ganz junges Automobilunternehmen den Markt aufmischen und den Platzhirschen das Brot von der Butter nehmen kann. Und während die deutschen Automobilunternehmen seit ein paar Jahren verzweifelt versuchen aufzuholen, bringen sich chinesische Hersteller von Elektroautos schon in Position, auch wenn sie heute oft noch süffisant belächelt werden. Aber wie war das damals mit den japanischen Autos in Deutschland in den 1970er Jahren? Unsere Position in der Solar- und Windenergie haben wir schon vor Jahren an China verloren. Energiewandel in Deutschland heißt heute Import von Flüssiggas und Leute, die sich auf die Straße kleben statt aktiv an einer Lösung mitzuwirken. Das Thema künstliche Intelligenz überlassen wir gleich ganz den anderen, so wie wir schon die IT-Industrie vor vielen Jahren dem Silicon Valley und Asien überlassen haben. Für alle, die sich nicht mehr erinnern: auch wir hatten einmal innovative und weltweit erfolgreiche IT-Unternehmen wie beispielsweise die Nixdorf Computer AG. Dieses Unternehmen ist leider auch einem strategischen Wendepunkt zum Opfer gefallen, nämlich dem Ende der sogenannten vertikalen IT-Industrie (Hardware, Betriebssystem und Anwendungssoftware aus einer Hand) und dem Siegeszug des PC.       

Wie stehen die Chancen für Deutschland?

Spontan kann man diese Frage erstmal mit „nicht wirklich gut“ beantworten, um es ganz vorsichtig auszudrücken. Aber schließlich sind wir doch auch nach dem zweiten Weltkrieg zu einer führenden Industrienation geworden? Das Problem ist einfach, dass wir viele Entwicklungen schichtweg verschlafen haben. Da passt auch hier wieder ein Zitat von Andy Grove hervorragend: „Success breeds complacency, complacency breeds failure, only the paranoid survive“, was so viel heißt wie “Erfolg führt zu Selbstgefälligkeit, Selbstgefälligkeit führt zu Misserfolg, nur die Paranoiden überleben“. Die deutsche Automobilindustrie ist dafür aus meiner Sicht ein gutes Beispiel. Ausruhen auf dem Erfolg von gestern. Und anstatt parteiübergreifend mit der Industrie daran zu arbeiten, wie man den Energiewandel wirklich schaffen kann, zerstreitet man sich in der Koalition über das Thema Öl- und Gasheizungen in privaten Haushalten. Wir haben so viele intelligente und fähige Gründer mit innovativen Ideen in Deutschland. Aber anstatt dieses Potential wirklich zu nutzen und zu fördern, werden diese schon bei der Gründung im deutschen Bürokratiedschungel gegängelt. Aktuelles Beispiel: ein neu gegründetes Unternehmen will bei einer namhaften deutschen Bank ein Geschäftskonto eröffnen. Dort werden die Gründer mit einem arroganten „das dauert mindestens vier Wochen“ abgefertigt. Zusätzlich gibt es dann noch die Information, dass alle Gründer persönlich in einer Filiale erscheinen müssen. Bei einer Online-Bank aus dem EU-Ausland dauert das Ganze dann knapp vier Tage inklusive Überweisung des Stammkapitals und Kontoauszug für den Eintrag ins Handelsregister – natürlich alles online. 

Die deutsche Startup-Community macht Hoffnung

Was Hoffnung macht, sind die deutschen Startup-Gründer. Hier meine ich jetzt nicht explizit nur die Anfang- bis Mitzwanziger, die im Allgemeinen mit dieser Gruppe in Verbindung gebracht werden. Es gibt auch genug Ü50-Gründer, die nochmal durchstarten wollen, weil sie fest daran glauben, mit einer Geschäftsidee erfolgreich zu sein. Ich habe mittlerweile einige Gründer zwischen 24 und 59 Jahren kennengelernt. Obwohl da 35 Jahre dazwischen liegen, ist der Energielevel bei beiden absolut der gleiche. Auch die in sozialen Netzwerken durch selbsternannte Influencer hochgespielte Konkurrenz zwischen der sogenannten Generation Z und den sogenannten Babyboomern sind aus meiner Sicht völlig aus der Luft gegriffen. Ich halte von solchen Kategorisierungen sowieso absolut nichts. Beide Generationen können sich aus meiner Erfahrung hervorragend ergänzen und sehr viel voneinander lernen. Da gibt es soviel Potential, das man einfach nur nutzen muss. Vor allem muss der Staat dafür die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Mehr fördern, statt immer wieder Steine in den Weg zu legen. Außerdem müssen die politischen Parteien wieder attraktiver werden für die Menschen, die etwas bewegen wollen. Damit diese Menschen auch politisch aktiv werden, um am Ende wirklich etwas zu verändern statt sich auf die Straße zu kleben oder Kunstwerke mit Tomatensuppe zu beschmieren. Wenn wir all das nicht schaffen, wird die Kurve Deutschlands bald so wie die von Nokia aussehen. Deutschland wird nicht von der Landkarte verschwinden, aber in der Bedeutungslosigkeit versinken. Das kann keiner wollen!      

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