Eine Aussage, die ich in den letzten Wochen sehr oft gehört habe, war folgende: “Es wird nie wieder sein wie früher“. Meist habe ich dabei viel Wehmut in der Stimme wahrgenommen und auch der Gesichtsausdruck der betreffenden Person war mehr von Zweifel oder sogar von Trauer geprägt als von Zuversicht und Aufbruchsstimmung. Auch ich selbst habe mich schon einige Male erwischt, wie sich solche Gefühle in mir breitgemacht haben. Natürlich ist es schwierig, positive Gedanken zu entwickeln oder gar zuversichtlich in die Zukunft zu blicken, wenn man sieht, dass wir irgendwie nicht wirklich viel weiter sind als vor sechs Monaten, was die Coronakrise und ihre Folgen auf die Wirtschaft und unser ganzes Leben betrifft. Natürlich kennen wir das Virus heute besser, es wird fieberhaft mit ersten kleinen Erfolgen nach einem Impfstoff gesucht, es gibt nicht mehr die ganz harten flächendeckenden Lockdowns wie vor ein paar Monaten und wir versuchen uns wieder so etwas wie Normalität zu schaffen, wenn auch manchmal mit zweifelhaften Ansätzen. Aber sonst hat sich nicht sehr viel geändert. Im April habe ich einen Artikel mit dem Titel „Wir wissen, dass wir nichts wissen“ geschrieben. Vieles aus diesem Artikel könnte ich leider heute noch genauso schreiben. Was wir jetzt brauchen ist Veränderung.
Das Virus bleibt
Ich bin der festen Überzeugung, dass es nie wieder sein wird wie früher, um bei der Überschrift dieses Artikels zu bleiben. Das soll nicht heißen, dass dieses Virus unser Leben weiter so bestimmt, wie es in den letzten Monaten der Fall war. Meine Einschätzung ist, dass wir mit den Coronaviren genauso leben werden und leben müssen wie mit den Grippeviren. Es wird wahrscheinlich einen Impfstoff geben. Dieser wird sich jedes Jahr weiterentwickeln so wie die Coronaviren mutieren. Man wird sich wie bei der Grippe jedes Jahr impfen lassen können und dabei hoffen, dass sich das Virus mittlerweile nicht so stark verändert hat, damit der Impfstoff wirksam ist. Und ja, genauso wie bei der Grippe wird es jedes Jahr leider Todesopfer geben. Das hört sich jetzt alles fast so an wie die typischen Aussagen der sogenannten Corona-Leugner. Da will ich keineswegs mit einstimmen, aber ganz sachlich betrachtet ist dies aus meiner Sicht das naheliegendste Szenario.
Das Home-Office bleibt
Selbst wenn es uns gelingen sollte das Virus sozusagen auszurotten, glaube ich nicht daran, dass unser Leben wieder genauso aussehen wird wie noch Anfang 2020. Der große Wandel hat sich bereits in unserem Arbeitsleben vollzogen. Dieser ist meiner Meinung nach auch nicht mehr rückgängig zu machen. Natürlich gibt es viele Branchen, in denen ein flexibles Modell zwischen Home Office und Büro oder gar ein komplettes Home-Office-Modell nicht so einfach oder überhaupt nicht zu implementieren ist. Autos oder Lebensmittel kann man nun mal nicht zuhause produzieren. Aber beispielsweise ein Software-Unternehmen kann ohne weiteres komplett ohne Büro auskommen. Dabei ist es auch völlig egal ob man im Vertrieb, in der Entwicklung oder in der Personalabteilung arbeitet. Ich bin überzeugt, dass einige Mitarbeiter zuhause sogar wesentlich effizienter arbeiten. In Bereichen wie der Produktentwicklung ist es völlig egal, wann man arbeitet, solange man seine Termine einhält. Auch bei Positionen, die es erfordern, mit Kollegen und Kunden in verschiedenen Zeitzonen zusammenzuarbeiten, schafft das Home Office viel mehr Flexibilität.
Das Reisen wird weniger
Viele Unternehmen, besonders außerhalb der IT-Industrie, haben jetzt erst gelernt, Software-Tools für die virtuelle Zusammenarbeit einzusetzen. Dabei haben sie ebenfalls gelernt, dass man sich nicht wegen jedem Meeting, das man am anderen Ende der Welt hat, unbedingt zehn oder mehr Stunden in ein Flugzeug setzen muss. Ich bin sogar überzeugt, dass auch die Politik diese Technologien jetzt vermehrt einsetzen wird. Warum muss man zu jedem EU-Meeting alle nach Brüssel oder in eine andere europäische Stadt fliegen? Ich selbst stelle mir seit einigen Monaten die Frage, ob es für mich persönlich überhaupt noch Sinn macht, ein Auto zu besitzen. Im Prinzip ist das totes Kapital, das auf einem Parkplatz steht, für den ich auch noch zahlen muss. Ich weiß, dass sich andere in meinem Umfeld ebenfalls diese Frage stellen. In diesem Zusammenhang verliert die Diskussion bezüglich Elektromobilität fast an Bedeutung. Wir haben in den letzten Monaten allein durch Home Office, den verringerten Flugverkehr und die in den Häfen parkenden Kreuzfahrtschiffe höchstwahrscheinlich mehr für den Klimaschutz getan als mit allen halbherzigen Aktionen in den Jahren zuvor.
Bildung muss digital werden
Ein anderer Bereich, der jetzt den ultimativen Weckruf bekommen hat, ist der Bildungssektor. In Schulen, wo bis Anfang des Jahres noch die Technologie der 80er Jahre zum Einsatz kam, gibt es plötzlich seit dem neuen Schuljahr sogenannte iPad-Klassen. Dies kenne ich aus ganz eigener Erfahrung. Und in meinem Fall durfte ich trotz Milliarden an nicht abgerufenen Fördergeldern dieses iPad auch noch aus der eigenen Tasche zahlen. Dass die Schüler jetzt trotzdem noch mehrere Kilos an Büchern mitschleppen müssen, ist natürlich eigentlich absurd. Aber man muss auch realistisch sein, dass es wohl noch Jahre dauern wird, bis alle Inhalte digital sind, bis es die entsprechenden Lernplattformen gibt, bis die Infrastruktur in den Schulen entsprechend installiert ist und bis die Lehrer entsprechend ausgebildet sind. Ich hoffe nur, dass man in diesem Zusammenhang noch einmal ernsthaft über das föderale Bildungssystem nachdenkt. Denn wenn man Technologie einsetzt, muss man gewisse Standards definieren, die dann bundesweit oder idealerweise sogar europaweit gelten sollten. Die Probleme, die ein Schüler oder eine Schülerin bei einem Umzug von Berlin nach Bayern schon heute hat, sind weitgehend bekannt.
Die Folgen sind noch nicht absehbar
Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie wir schon anfangen, diese Krise positiv zu nutzen. Vieles davon wird sich sicherlich noch viel positiver weiterentwickeln. Aber es gibt natürlich auch die andere Seite. Was passiert mit der eigenen Firmenkultur, wenn alle im Home Office arbeiten? Oder wie kann sich bei Startups eine solche Firmenkultur dann überhaupt entwickeln? Werden Mitarbeiter sozusagen zu Nomaden, die aber selbst an einem Platz bleiben, nämlich ihrem Home Office, und nur die Welt um sie herum, sprich der Arbeitgeber, ändert sich jetzt noch viel schneller, da die Bindung an das Unternehmen fehlt? Welche Folgen hat das alles noch beispielsweise für die Luftfahrt- und die Autoindustrie? Einiges davon ist heute schon zu sehen.
Die Chancen nutzen
Wie bei allem gibt es Gewinner und Verlierer. Einige gewinnen schon heute kräftig, andere haben schon verloren. Einige von den Gewinnern werden sich auch weiterhin positiv entwickeln, während es bei anderen nur ein kurzes Aufblitzen war, weil ganz einfach die langfristige Strategie fehlt. Werden wir wieder zusammen mit 70.000 Menschen ein Fußballspiel oder ein Open-Air-Konzert im Stadion besuchen? Eine Antwort hierauf wäre für mich wie in die berühmte Glaskugel zu schauen. Wenn meine Theorie sich allerdings bewahrheitet, dass das durch einen Impfstoff kontrollierbare Risiko irgendwann ein akzeptierter Teil unseres Lebens wird, könnte ich mir das durchaus vorstellen. Es gibt noch sehr viele offene Fragen, die wir definitiv in das nächste Jahr, möglicherweise auch länger mitnehmen werden. Aber wir alle sollten diese Situation als Chance nutzen, um viele Dinge zu hinterfragen und positive Entwicklungen wie einige der beschriebenen zu beschleunigen. Dies ist das größte Change-Management-Projekt seit vielen Jahrzehnten und wir sollten uns damit abfinden, dass es nie wieder so sein wird wie früher.