Im letzten Wahlkampf wurde das Thema Digitalisierung relativ stiefmütterlich behandelt, um nicht zu sagen eigentlich ignoriert. Jetzt nach der Wahl hört man trotz Regierungsbeteiligung der selbsternannten Digitalisierungspartei FDP dazu auch noch ziemlich wenig, weil andere Themen im Vordergrund stehen. Und wenn das Thema diskutiert wird, dann mit dem Fokus, wie jedes auch noch so abgelegene Dorf in Deutschland Anbindung an schnelles Internet bekommt. Hier gibt es dann weit auseinanderliegende Meinungen, was der Begriff „schnelles Internet“ eigentlich meint. Aber im Sinne des Betrachters ist bekanntlich alles relativ. Flächendeckendes schnelles Internet ist sicherlich eine wichtige Grundlage für die Digitalisierung, in der Realität immer wieder zu erleben, wenn man im ICE sitzt und die Verbindung regelmäßig abbricht. Im sehr dünn besiedelten Landesinneren von Brasilien kann ich akzeptieren, irgendwann mal kein Mobilfunksignal mehr zu haben. Im flächenmäßig kleinen und dicht besiedelten „Land der Erfinder und Ingenieure“ haben dafür wahrscheinlich auch ausländische Besucher wenig Verständnis.
Digitalisierung von Geschäftsprozessen
Aber Digitalisierung ist nicht nur schnelles Internet. Es ist erstaunlich, wie viele insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen ihre Geschäftsprozesse immer noch auf Papier oder Spreadsheets abbilden. Standard-Softwarepakete sind meist unflexibel und viele Firmen scheuen das hohe Investment. Wenn man sich doch zum Kauf durchgerungen hat, passiert es dann nicht selten, dass sich die internen Prozesse der Software anpassen müssen und nicht umgekehrt. Mit einem einzigen Softwarepaket ist es dann auch meistens nicht getan, was wiederum noch höhere Kosten verursacht. Die andere Alternative ist die Programmierung von individueller Software. Aber die IT-Abteilungen sind meist schon ziemlich ausgelastet mit den täglichen Anforderungen und gute Software-Entwickler sind rar. Doch seit einiger Zeit schon befinden wir uns in einem Wandel bezüglich der Erstellung von individuellen Software-Applikationen für die Automatisierung von Prozessen und Arbeitsabläufen. Dieser Wandel wird getrieben von No-Code-Plattformen.
Was ist No-Code?
Eine No-Code-Plattform ermöglicht es, Anwendungen, Arbeitsabläufe, Websites oder Online-Shops ganz ohne technischen Hintergrund und Programmierkenntnisse zu entwickeln. Doch was ist No-Code eigentlich? Ganz einfach ausgedrückt ist es die Möglichkeit, Software zu entwickeln ohne eine einzige Zeile Code zu schreiben. Die meisten Anwendungen oder auch Websites werden in standardisierten Sprachen wie HTML, Java, C, Python oder SQL programmiert. Diese klar definierten Programmiersprachen sind der Code. No-Code heißt nichts anderes als die Beseitigung der Notwendigkeit von Programmiersprachen. Stattdessen werden vorgefertigte Bausteine und eine grafische Benutzeroberfläche mit Drag-and-Drop-Funktionen für die Programmierung verwendet. Damit wird im Prinzip jeder befähigt, sich in kürzester Zeit individuelle Lösungen zu erstellen, die immer wieder leicht und flexibel anpassbar und erweiterbar sind, so wie sich eben Geschäftsprozesse und Arbeitsabläufe auch immer wieder ändern. Das spart Zeit, Kosten und Ressourcen.
No-Code und Low-Code
An dieser Stelle ist es vielleicht noch wichtig auch kurz den Begriff Low-Code und die Abgrenzung zu No-Code zu erklären. Low-Code-Plattformen erfordern immer noch einen gewissen Programmieraufwand, sind dadurch aber flexibler als No-Code-Plattformen. Die Abgrenzung zwischen beiden Plattformen ist oft fließend und abhängig von der Funktionalität. Im Prinzip richten sich Low-Code-Plattformen an Entwickler und No-Code-Plattformen an Endbenutzer. No-Code funktioniert modellgesteuert und sozusagen per Plug-and-Play, Low-Code erfordert manuelle Programmierarbeit. No-Code-Plattformen haben in der Regel eine starre Benutzeroberfläche, Low-Code-Plattformen bieten mehr Flexibilität durch das Hinzufügen von manuell erstelltem Programmcode.
Jeder ist ein Softwareentwickler
No-Code-Plattformen ermöglichen es besonders Mitarbeitenden, die keinen Bezug zur Technik haben, aber tiefes fachliches Know-how mitbringen, eigene Anwendungen zu erstellen ohne sich mit Programmiersprachen herumschlagen zu müssen. Stattdessen nutzt der Anwender standardisierte Bausteine, die sich über die grafische Benutzeroberfläche mithilfe einer einfachen Menüführung zusammenstellen lassen. Software, die auf Basis von No-Code erstellt wurde, bietet somit den Vorteil, dass sich die meist knappen Ressourcen von IT-Abteilungen und Programmierern problemlos durch Mitarbeitende aus den Fachabteilungen erweitern lassen. Durch vorgefertigte Bausteine können Prozesse einfach und schnell programmiert werden, Auch kurzfristige Änderungen sind ohne Programmieraufwand problemlos möglich. Fairerweise muss man anmerken, dass sich individuelle Anpassungen und komplexe Aufgabenstellungen, die nicht in den Bausteinen einer No-Code-Plattform erfasst sind, auch hier nur durch eine Programmierung auf Basis der zugrunde liegenden Programmiersprache umsetzen lassen.
No-Code in der Bauindustrie
Wie schon erwähnt, ist es insbesondere bei vielen kleinen und mittleren Unternehmen heute noch üblich, dass Spreadsheets oder sogar die gute alte Zettelwirtschaft dazu dienen Geschäftsprozesse abzubilden. Gerade in den bezüglich Digitalisierung eher konservativen Industrien wie beispielsweise der Bauindustrie kann man das sehr gut beobachten. Aber auch hier vollzieht sich in jüngster Zeit ein Wandel, der nicht zuletzt auch von der No-Code-Bewegung getrieben wird. In vielen Firmen steht ein Generationenwechsel an und es werden Digitalisierungsexperten eingestellt, um die Arbeitsabläufe im Unternehmen durch den Einsatz von modernen Technologien effizienter zu machen. Wo der Bauleiter auf der Baustelle früher noch mit dem guten alten Klemmbrett die Baumängel per Stift und Zettel aufgenommen hat, tut er dies heute mit einem iPad und einer auf einer No-Code-Plattform basierten Anwendung. Die Daten und Fotos von der Baustelle stehen zeitgleich in der Zentrale zur Verfügung – wenn es auf der Baustelle eine Internetverbindung gibt. Falls das mal nicht der Fall ist, werden die Daten eben später übertragen, wenn der Bauleiter wieder im Auto auf dem Weg zur nächsten Baustelle sitzt.
No-Code und die IT-Abteilung
No-Code-Plattformen werden der Digitalisierung einen großen Schub geben, da viele gerade kleinere und mittlere Unternehmen jetzt die Möglichkeit haben, flexibel und kostengünstig ihre Prozesse und Abläufe so zu automatisieren wie sie in der Realität wirklich aussehen. Idealerweise arbeiten die Fachabteilungen hier eng mit der IT-Abteilung zusammen und kombinieren ihre Expertise. Allerdings gibt es jedoch gerade in größeren Unternehmen von Seiten der IT-Abteilung noch größere Widerstände gegenüber No-Code-Plattformen, da man befürchtet, die Kontrolle über die IT-Landschaft an die Fachabteilungen zu verlieren. Aber auch das wird sich sicherlich sehr bald ändern.