Deutschland wird gerne immer noch als das „Land der Dichter und Denker“ bezeichnet. Dass es laut Bundesministerium für Bildung und Forschung über sieben Millionen sogenannte funktionale Analphabeten in diesem Land gibt, passt da irgendwie nicht so richtig ins Bild. Die Deutschen selbst bezeichnen sich aber noch viel lieber als das „Land der Erfinder und Ingenieure“. Aus der Sicht der Forschungsbudgets und möglicherweise sogar basierend auf der Anzahl der Ingenieure mag das noch angemessen sein. Aber welche Innovation, insbesondere im Technologiebereich, wurden in den letzten Jahrzehnten wirklich aus Deutschland getrieben?
Bei den Grundlagen fängt es an
Innovationsbereitschaft und innovatives Denken müssen schon in der Schule gefördert werden. Das fängt schon mit dem Umfeld an, in dem die Schüler lernen. Vor einigen Monaten durfte ich an einem Elternabend an einer bayrischen Schule teilnehmen. Als ich in das Klassenzimmer kam, fühlte ich mich plötzlich vierzig Jahre zurückversetzt. Nicht nur, dass da noch die gleiche Tafel an der Wand hing, auch als der Klassenlehrer mit seiner Einführungspräsentation anfing, stellte er einen Overhead-Projektor auf den Tisch und legte handgeschriebene Folien darauf. Falls einer der jüngeren Leser nicht mehr weiß, was ein Overhead-Projektor ist, kann er das hier nachlesen. Ich weiß, dass dieses Beispiel vielleicht etwas überzogen ist, aber es war für mich so symbolisch für unsere nicht ehrliche Bereitschaft, wirklich in die Ausbildung unserer Nachfolgegeneration zu investieren. Ich sehe auch im heutigen Unterrichts- und Lehrplan keine großen Unterschiede zu meiner Zeit. Wie will man da eine kreative Generation entwickeln, die später Innovation treibt?
Wir wurden abgehängt…
Die digitale Revolution haben wir völlig verschlafen. Siemens hat anfangs noch versucht, mit den Platzhirschen aus dem Silicon Valley oder zu jener Zeit auch Japan mitzuhalten, sogar auf dem Sektor der Halbleitertechnologie. Es gab die deutsche Erfolgsstory von Heinz Nixdorf mit der nach ihm benannten Firma. Aber auch diese Erfolgsstory endete abrupt, weil man sich im Erfolg sonnte und irgendwann nicht mehr innovativ war. Dies habe ich schon kurz in meinem Blog „Das agile Arbeitsumfeld“ beschrieben. Als erfolgreiches Beispiel aus Deutschland sollte man fairerweise SAP nennen, die heute noch weltweit führend und erfolgreich in ihrer Sparte sind, weil sie eben die Trends nicht verschlafen und sich immer wieder neu erfunden haben. Natürlich gibt es viele mittelständische deutsche Unternehmen und auch mehr oder weniger erfolgreiche Startups in der Technologiebranche. Aber wenn man ehrlich ist, spielen die auf der Weltbühne nicht wirklich eine Rolle. Sogar das kleine Land Israel wird im Zusammenhang mit Innovation und erfolgreichen Startups sehr viel öfter genannt als Deutschland.
… und wir stehen uns selbst im Weg
Das Beispiel der geplanten Tesla-Fabrik in Brandenburg zeigt meiner Meinung nach hervorragend, wo Deutschland heute steht. Natürlich ist offensichtlich, dass Elon Musk nicht in Deutschland investiert, weil hier alles so unbürokratisch und kostengünstig ist. Er legt auf für Deutschland schmerzhafte Weise offen, wie wir jetzt auch noch in unserer Vorzeigeindustrie abgehängt werden. Statt in wirkliche Innovation, in die Forschung und Entwicklung des elektrischen Antriebs und neuer Batterietechnologien zu investieren, wurde die Entwicklung des Verbrennungsmotors weiter vorangetrieben. Als dann offensichtlich wurde, dass man die vorgegebenen Abgasziele nicht erreichen kann, wurde eben „geschummelt“. Das ist jetzt möglichweise sehr sarkastisch, aber zumindest hier war die deutsche Autoindustrie recht innovativ. Was Tesla und Elon Musk im Moment hier in Deutschland widerfährt, ist aus meiner Sicht nur noch peinlich. Man spürt in vielen öffentlichen Aussagen sehr deutlich den Neid und die Missgunst. Warum investiert nicht einer der deutschen Automobilplatzhirsche in eine Fabrik für Elektrofahrzeuge in Brandenburg? Und natürlich zieht man dann am Ende noch gerne die Umweltkarte. Weil für die Fabrik der Teil eines Waldes gerodet werden muss, der eigentlich gar kein natürlicher Wald ist, gehen jetzt die Leute gegen das geplante Projekt auf die Straße. Dass immer noch ganze Dörfer und Landschaften in Deutschland für die „Zukunftsindustrie“ Braunkohle platt gemacht werden, erscheint da einmal mehr in einem ganz anderen Bild.
Wir müssen schnell umdenken…
Der Zug ist für Deutschland noch nicht abgefahren. Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass wir alle Grundlagen haben, um in vielen Bereichen wieder Fahrt aufzunehmen. Gerade das Thema Umwelt- und Klimaschutz lässt sich doch hervorragend mit Innovation in der Technologie verbinden. Das größte Problem allerdings, mit dem ich leider selbst regelmäßig konfrontiert werde, ist die fehlende Risikobereitschaft in Deutschland. Ein vielzitiertes Beispiel ist immer noch das vom gescheiterten Startup-Gründer, der in den USA trotz oder gerade wegen seines Scheiterns großen Respekt genießt, während er bei uns als Versager abgestempelt wird. Das mag stimmen, aber auch das lässt sich ändern, nicht zuletzt mit einem Bildungssystem, das dahingehend schon eine andere Einstellung fördert. Wir müssen viel mehr Mut zum Scheitern haben. Es wird so viel über Agilität geredet. Aber sind wir Deutschen wirklich agil? Ich begegne leider immer noch sehr vielen Leuten, für die das Glas grundsätzlich immer halb leer ist, die jeden Satz mit „ja, aber…“ beginnen, die nicht aus ihrer Komfortzone herauswollen („das haben wir noch nie so gemacht“) und die nicht bereit sind, vielleicht auch einmal zu scheitern. Woraus lernt man am meisten? Natürlich aus den Niederlagen. Denn man weiß ganz einfach beim nächsten Mal, was man nicht oder wie man es nicht machen sollte.
… aber der Ruck lässt noch auf sich warten
Am 26. April 1997 hielt der damalige Bundespräsident Roman Herzog seine berühmte „Ruck-Rede“. Er beschwor darin eine Zukunftsvision für das Deutschland im Jahr 2020. In der Rede ging es um Ängstlichkeit, Innovationsstau und Bürokratie. Wir sind jetzt im Jahr 2020 und zumindest ich habe von einem Ruck noch nichts gespürt. Den kann es nur mit Leuten geben, die auch einmal anecken, die möglicherweise in den Augen anderer völlig utopische Ideen haben. So wie Elon Musk mit Tesla, mit SpaceX oder mit Hyperloop. Hier noch ein Zitat dazu von Roman Herzog: „Wenn Dir alle zustimmen, haben sie Dich entweder falsch verstanden oder Du hast in Wirklichkeit gar nichts gesagt“. Immer in perfekter Harmonie, immer mit dem Strom zu schwimmen und dem Ziel, es immer allen recht zu machen, werden wir keinen Schritt weiterkommen. Für den großen Ruck brauchen wir Vordenker und Leute, die keine Angst vor Gegenwind und Kritik haben. Dann hat Deutschland vielleicht auch wieder den Titel „Land der Erfinder und Ingenieure“ verdient.