In ein paar Jahren wird ein Management-Trainer bei einer Schulung wahrscheinlich das Jahr 2020 als den Wendepunkt hin zu Remote Management beschreiben. Einige Manager, die es gewohnt waren, ihre Teammitglieder jeden Tag um sich herum zu haben, standen im Jahr 2020 vor einer echten Herausforderung. Ich meine hier sicher nicht diejenigen, die schon immer echte Führung praktiziert und ein Umfeld des Vertrauens und des Übertragens von Verantwortung geschaffen haben. Aber es war definitiv eine harte Lektion für jenen Typ Manager, dessen Führungsstil hauptsächlich durch mangelndes Vertrauen und den unendlichen Drang zu Mikro-Management und überbordender Kontrolle gekennzeichnet ist. Plötzlich ist man eben nicht mehr in der Lage, jeden Tag zu kontrollieren, wann die Mitarbeiter zur Arbeit kommen, wann sie gehen, wie oft und wie lange sie sich privat unterhalten und ob das aktuelle Projekt auf Kurs ist. Klingt übertrieben? Glauben Sie mir, ich habe diese Manager in den letzten 30 Jahren zu oft gesehen, immer und immer wieder.
Meine eigene Erfahrung
Ich hatte im Prinzip nie die Chance, ein Team wirklich sehr eng zu führen, geschweige denn zu mikro-managen, denn schon mein erstes kleines Team von nur drei Leuten war auch auf drei europäische Städte verteilt. Ich musste mich also schon am Anfang meiner Karriere an Remote Management gewöhnen. Von da an habe ich im Grunde nur noch Teams geleitet, die über den ganzen Globus verteilt waren. Obwohl, eigentlich stimmt das nicht ganz. Als ich während meines „mehrjährigen Sabbaticals“ in Brasilien einen kleinen Ausflug in die Hotellerie gemacht habe, hatte ich mein Team tatsächlich den ganzen Tag um mich herum. Und ich musste auch manchmal echtes Mikro-Management betreiben. Aber das ist eine ganz andere Geschichte, die ich in meinem Buch „Jenseits von Samba und Karneval“ ausführlich beschrieben habe.
Schwierig auch für den Mitarbeiter
Ich bin ziemlich sicher, dass Remote Management für den betroffenen Mitarbeiter oft schwieriger zu handhaben ist als für den Manager. Viele Remote-Mitarbeiter, vor allem wenn sie neu in ein Unternehmen kommen oder generell noch sehr jung und unerfahren sind, wünschen sich oft eine engere Führung durch ihren Vorgesetzten. Gerade wenn es mal etwas rauer zugeht, bevorzugen viele das persönliche Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Ich muss zustimmen, dass ein kleines Videofenster auf dem Bildschirm mit manchmal auch noch sehr schlechter Bildqualität das persönliche Gespräch in einem Büro oder einem Besprechungsraum nicht wirklich ersetzen kann. Aber welche anderen Möglichkeiten hat man in unserer globalen Geschäftswelt? Ich spreche hier nicht von der außergewöhnlichen Situation, die wir seit März 2020 erleben. Ich spreche von der ganz normalen Tatsache, dass Ihr Team über fünf Kontinente und zwanzig Zeitzonen verteilt ist.
Remote Management ist nicht neu
Remote Management gab es schon immer, vor allem in Unternehmen mit internationalen Vertriebsorganisationen. Aber beispielsweise auch Software-Entwicklungsteams, die noch vor einigen Jahren typischerweise zentral am Firmensitz organisiert waren, sind heute sehr oft über den ganzen Globus verteilt, um das Talent (und auch die niedrigeren Kosten) in anderen Teilen der Welt zu nutzen. Immer mehr dieser Mitarbeiter arbeiten mittlerweile auch von zu Hause aus und nicht in einer Büroumgebung. Was manche heute gerne als das „neue Normal“ bezeichnen, ist für viele andere schon immer das normale Arbeitsleben gewesen. Auf dem WebSummit 2020, der im vergangenen Jahr nur virtuell stattfand, sprach Job van der Voort, CEO von Remote.com, über sogenannte „verteilte Unternehmen“ ohne Büros, die in Zukunft zum Standard werden könnten. Das ist wahrscheinlich nicht für alle Branchen realistisch, aber definitiv keine abwegige Idee, vor allem nach den Erfahrungen im Jahr 2020.
Technologie macht es möglich
Also was ist dann, wie in der Überschrift schon angedeutet, wirklich neu an Remote Management? Gar nichts! Zumindest für diejenigen, die das schon seit Jahren praktizieren. Wenn Sie Ihr Remote-Team effektiv führen wollen, dann nutzen Sie einfach die heute zur Verfügung stehenden Technologien. Gerne wird oft auf die persönlichen Gespräche im Flur oder am Kaffeeautomaten verwiesen. Oder auf das schnelle Gespräch, wenn jemand an Ihrem Schreibtisch vorbeikommt und fragt: „Hast Du kurz fünf Minuten Zeit?“. All das war für diejenigen Mitarbeiter, die 5000 Meilen oder mehr voneinander entfernt sitzen, noch nie möglich. Aber es gibt einfache Lösungen wie zum Beispiel die Chat-Funktion in Microsoft Teams. Erlauben Sie Ihrem Team einfach, Sie dort anzupingen und die gleiche Frage zu stellen: „Hast Du kurz fünf Minuten Zeit?“. Und wenn Ihr Team über den ganzen Globus verteilt ist, blockieren Sie einfach eine Stunde am frühen Morgen für Ihre asiatischen Kollegen und eine weitere Stunde später am Nachmittag für die auf dem amerikanischen Kontinent. Wenn Sie miteinander sprechen, schalten Sie auf beiden Seiten die Kamera ein, so dass Sie zumindest eine Art von persönlicher Verbindung aufbauen können. Sie sollten die Mimik des anderen sehen können und, was fast noch wichtiger ist, sich vergewissern können, ob die andere Seite Ihnen wirklich zuhört und nicht parallel Emails liest, während Sie sprechen. Letzteres kommt leider sehr oft vor.
Remote einstellen
Ich habe bereits die Schlagwörter mangelndes Vertrauen, Kontrolle und Mikro-Management erwähnt. Das sind die ärgsten Feinde des Remote Managements. Die Grundlage, um ein Remote-Team erfolgreich zu führen und zu managen, ist ganz einfach Vertrauen. Ich wiederhole: Vertrauen! Aber das ist oft nicht ganz so einfach, wie es klingt. Jemanden an einem entfernten Standort einzustellen, den man selbst nicht kennt und der wiederum nicht Ihre Unternehmenskultur kennt, ist immer mit einem nicht zu unterschätzenden Risiko verbunden. Ich vertraue sehr oft auf mein Bauchgefühl bei einem Vorstellungsgespräch, aber es braucht auch einen sehr ausgeklügelten mehrstufigen Interviewprozess mit mehreren Beteiligten, um ein Maximum an Sicherheit zu gewährleisten, dass man die richtige Person einstellt. Wenn auf diesen Prozess dann noch ein gut strukturiertes Onboarding-Programm folgt, stehen die Chancen gut, dass Ihr neues Remote-Teammitglied die Probezeit übersteht.
Mitarbeiter Ihres Vertrauens
Echtes Vertrauen wächst allerdings nur mit der Zeit. Wenn Sie es ernst meinen mit der Internationalisierung, gibt es einen einfachen, aber auch sehr effizienten Weg, dies in die Wege zu leiten ohne das Risiko einzugehen, diese Verantwortung an einen unbekannten lokalen Mitarbeiter zu übertragen. Suchen Sie sich einfach einen Kollegen oder eine Kollegin Ihres Vertrauens in Ihrer aktuellen Organisation und „verkaufen“ Sie ihm oder ihr das Abenteuer und die einmalige Gelegenheit, das Geschäft des Unternehmens in neuen Regionen zu entwickeln. Dann wird auch die Kommunikation über Kontinente und Zeitzonen hinweg relativ einfach sein. Sie haben jemanden, der die Brücke zwischen der neuen Region und Ihrer Heimatbasis bauen kann. Sie haben jemanden, der lokale Mitarbeiter einstellen, schulen und führen kann. Und nicht zuletzt haben Sie jemanden, der in der Lage ist, jemanden an seiner oder ihrer Seite zu entwickeln, der oder die nach dann zwei Jahren diese Aufgabe übernehmen kann. Ich selbst habe in den 1990er Jahren ein solches Angebot erhalten und werde es nie bereuen, diese Chance wahrgenommen zu haben. Von da an wurde es meine Leidenschaft, im internationalen Umfeld zu arbeiten und Geschäft in neuen Regionen zu entwickeln. Ich habe gelernt, zuerst remote zu arbeiten und später auch remote zu managen. Darauf habe ich im Prinzip meine ganze Karriere aufgebaut.
Von physischer zur mentalen Bindung
Remote Management macht die Mitarbeiterbindung nicht gerade einfacher. Der Remote-Mitarbeiter hat definitiv nicht die gleiche enge Beziehung zum Arbeitgeber wie der Mitarbeiter, der in einem modernen Bürogebäude arbeitet, das vielleicht noch in einer schönen Gegend liegt, mit einem fantastischen Bistro oder einer Cafeteria, kostenlosem Kaffee, Obst und Schokolade und anderen Kleinigkeiten, an die man sich mit der Zeit gewöhnt. Der Remote-Mitarbeiter von heute, und in Zukunft vielleicht noch viel mehr, muss nicht einmal mehr seinen Arbeitsplatz verlassen, wenn er den Arbeitgeber wechselt. Die Entscheidung wird viel einfacher fallen, öfters mal für ein anderes Unternehmen zu arbeiten, weil man ganz einfach in der gleichen physischen Arbeitsumgebung bleibt. Als Manager mit einem Remote-Team besteht Ihre Herausforderung darin, die Bindung an einen attraktiven Arbeitsplatz durch eine starke mentale Bindung zu ersetzen. Das bedeutet vor allem, erreichbar zu sein, echte Führung zu praktizieren und ein Umfeld zu schaffen, in dem Verantwortung übertragen und übernommen wird und in dem hohes Vertrauen auf beiden Seiten herrscht. Eigentlich… nicht wirklich neu.