Am 23. August 2020 hat der FC Bayern München das Finale der Champions League und damit nach 2013 zum zweiten Mal das „Triple“ gewonnen, nämlich den Champions-League-Titel, die deutsche Meisterschaft und den DFB-Pokal. Noch im November 2019, nach der desaströsen Niederlage gegen Eintracht Frankfurt, wo die Bayern mit 1:5 von den Hessen vom Platz gefegt wurden, hätte wohl keiner auch nur den berühmten Pfifferling darauf gewettet, dass die Saison so ausgehen würde. Im Gegenteil: Deutschlands Fußballfans hatten endlich mal wieder die Hoffnung, dass es einen anderen deutschen Meister geben wird und die lange starke Ära des FC Bayern erst einmal für einige Zeit vorbei sein könnte.
Es kam alles anders
Aber es kam eben alles ganz anders. Und das nicht etwa, weil man Millionen für neue Spieler ausgegeben oder vielleicht der vielzitierte „Bayerndusel“ mitgeholfen hat. Im Champions-League-Finale standen neun Spieler in der Startelf, die auch am 02.11.2019 in Frankfurt zumindest physisch auf dem Platz standen. Was war passiert? Man hatte aus der Not heraus, weil gerade kein anderer „Startrainer“ verfügbar war, den Assistenztrainer zum Cheftrainer gemacht. Dieser war nie durch große Worte oder Starallüren aufgefallen, sondern hat immer seinen Job in der zweiten Reihe gemacht, so auch bei der Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien, wo Deutschland bekanntlich den Titel gewann. Als er die Bayern-Mannschaft übernahm, gab es Lagerbildungen im Team, unzufriedene meckernde Starspieler und angeblich auch sogenannte „Maulwürfe“, die interne Informationen an die Presse herausgeplaudert haben.
Die große Wende
Schon im ersten Spiel nach dem Trainerwechsel hat man gemerkt, dass sich irgendetwas schlagartig verändert haben musste. Und von da an ging es nur noch in eine Richtung. Ein Rekord nach dem anderen wurde geknackt, das Wort Niederlage gab es nicht mehr im Wortschatz der Mannschaft und man hatte sich wie in einen Rausch gespielt. Auch Spieler die die 30-Jahre-Altersschallmauer schon überschritten und sich mit Wechselgedanken getragen hatten, weil ihnen der Platz auf der Ersatzbank nicht gefiel, erlebten plötzlich so etwas wie einen zweiten Frühling und fanden wieder zur Form ihrer besten Tage zurück. Jüngere Spieler reiften zu Führungspersönlichkeiten und junge Talente, die vorher kaum einer kannte, wuchsen zu Stammspielern heran. Und all das innerhalb von nur neun Monaten!
Ganz neue Töne
In den Interviews nach dem Champions-League-Sieg hörte man relativ wenig über Taktik und dergleichen, aber man hörte Sätze wie:
„Es ist gar nicht wirklich zu beschreiben, wenn man mit so einer Truppe, mit Brüdern so einen Titel gewinnt.“
„Wir streiten uns darum, wer den Fehler des anderen wiedergutmacht.“
„Es hat fast noch nie so Spaß gemacht – und ich bin schon lange dabei.“
Teambuilding als Schlüssel zum Erfolg
Das Team und der Spaß am Spielen waren das Thema. Wenn man jetzt ganz nostalgisch werden möchte, könnte man das alte Zitat „einer für alle, alle für einen“ herausholen, um das in einem Satz zu beschreiben. Da bezeichnet jemand seine Teamkollegen als „Brüder“ und jemandem, der wirklich schon eine ganze Zeit dabei ist, hat es „noch nie so Spaß gemacht“. Mich hat das allerdings nicht sehr überrascht. Ich verfolge das Geschehen im Fußball seit meiner Jugend ziemlich genau und, von ein paar einzelnen Ausnahmen mal abgesehen, waren und sind genau die Trainer am erfolgreichsten, die es schaffen, die Spieler als Menschen zu sehen, sie als Individuen auch individuell zu behandeln und dann aus all diesen unterschiedlichen Charakteren eine Mannschaft, ein Team zu formen. Die fachliche Kompetenz setze ich hier als gegeben voraus, denn die hat sicherlich jeder Trainer im Profigeschäft. Aber Empathie kann man nicht lernen. Die hat man oder man hat sie nicht. Und Empathie braucht man für ein gutes Coaching.
Trainer und Coach
Wenn man das Wort „Trainer“ in Englisch in verschiedene Online-Übersetzer eingibt, dann findet man dafür auf Deutsch oft Worte wie „Ausbilder“, „Dompteur“ oder sogar „Abrichter“. Umgekehrt von Deutsch nach Englisch erscheint immer das Wort „Coach“. Das sollte man jetzt mal kurz auf sich wirken lassen und sich dann einige der bekannten Fußballtrainer ins Gedächtnis rufen. Zumindest ich kenne einige, auch sehr berühmte, auf die das Wort Dompteur sehr viel besser passt als Coach.
Der Fußball als Vorbild
Warum rede ich eigentlich so viel über Fußball? Weil man das alles aus meiner Sicht sehr schön auf jegliche Führungsfunktion in Unternehmen oder auch anderen Organisationen übertragen kann. Denn auch Mitarbeiter/-innen sind individuelle Charaktere. Als Führungskraft muss man, wie der Name schon sagt, die Kraft haben zu führen. Aber Führen wird leider immer noch von vielen Managern mit Kontrolle, Mikromanagement und dem Erteilen von exakten Anweisungen verwechselt. Führen heißt für mich das Beste aus jedem/jeder Mitarbeiter/-in herauszuholen, ihn oder sie auf die Position zu bringen, die am besten zu seinen oder ihren Fähigkeiten passt. Man sollte und muss eine Richtung, eine Strategie vorgeben, aber dem Team auch die Möglichkeit geben, an der Entwicklung dieser Strategie mitzuarbeiten, und dann vor allem die Verantwortung übertragen, diese Strategie kreativ umzusetzen. Ab dann ist man idealerweise nur noch in der Rolle des Coach, der jedem im Team individuell zur Seite steht, der zuhört, der die richtigen Fragen stellt, der motiviert, der vermittelt und der auch mal schlichtet, wenn es nötig sein sollte. Nur dann wird man das ganze Potential des Teams nutzen und bekommt dann hoffentlich auch hin und wieder einen Kommentar zu hören „wie großartig es ist, Teil dieses erfolgreichen und tollen Teams zu sein“. Eigentlich alles genauso wie im Fußball.