Ich denke, dass mir fast jeder zustimmen wird, wenn ich sage, dass 2020 ein sehr spezielles Jahr war, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Zumindest für diejenigen, die nicht während oder direkt nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen sind, wird das Jahr 2020 für immer als eines der schwierigsten, wenn nicht als das schwierigste in der Erinnerung eingraviert bleiben. Natürlich hat jeder seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht. Da gibt es die sicherlich große Gruppe der Leute, die mit den Einschränkungen leben musste und weiterhin muss, aber bis jetzt ganz gut durch die Krise gekommen ist. Und es gibt die sicherlich nicht kleine Gruppe der Menschen, die durch die Folgen der Pandemie viel stärker leiden musste oder auch noch muss. Zur letzteren Gruppe gehören all diejenigen, die selbst schwer erkrankt sind oder auch Familienmitglieder und Freunde an das Virus verloren haben. Dazu gehören aber sicherlich auch diejenigen, denen die Basis für ihren Lebensunterhalt unter den Füßen weggezogen wurde. Ich sollte hier noch eine dritte Gruppe nicht vergessen zumindest zu erwähnen. Das sind diejenigen, die das ganze Thema immer noch verleugnen, sich nicht an die Schutzmaßnahmen halten und für die das Corona-Virus nur eine große Verschwörung ist. Doch denen möchte ich hier auf keinen Fall noch mehr Aufmerksamkeit schenken.
Positiv denken
Ich zähle mich, Stand heute, glücklicherweise zu der erstgenannten Gruppe. Natürlich erlebe auch ich die Tage, an denen ich mir ganz einfach nur mein Leben vor März 2020 zurückwünsche. Oder es gibt einfach nur die kleinen Alltagssituationen, in denen ich gerne mal leise vor mich hin fluche. Wer ist nicht gerade am Anfang der Pandemie schon einmal am Parkplatz des Supermarktes angekommen und hat dann bemerkt, dass man wieder einmal den Mund-Nasen-Schutz, im Volksmund „die Maske“, vergessen hat? Aber auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt die typische Floskeln benutze und vielleicht auch Klischees bediene, behaupte ich, dass ich im Allgemeinen bis heute immer versucht habe, das beste aus der Krise zu machen und auch etwas daraus zu lernen.
Die neue Arbeitswelt
Ich habe vor einiger Zeit zwei Artikel darüber geschrieben, wie wir als Unternehmen Paessler AG die Krise gleich von Anfang an aus meiner Sicht hervorragend gemeistert haben. Gerade in meinem Artikel „Eine komplette Firma geht ins Home Office“ habe ich noch nicht die geringste Vorahnung gehabt, dass wir alle im Dezember immer noch von zuhause arbeiten werden und dies nicht nur ein Ausnahmezustand für ein paar Wochen ist. Heute weiß ich, dass zumindest für uns als Unternehmen Flexibilität bezüglich des Arbeitsortes nicht nur die sogenannte „neue Normalität“ – einer der Begriffe des Jahres 2020 – sondern einfach mittlerweile schlichtweg die Normalität ist. Das ist nicht nur so dahingesagt. Das ist mittlerweile so mit den Mitarbeitern vereinbart. Die gesamte Organisation der Büroflächen in unserem Firmengebäude sowie die IT-Ausstattung für die Mitarbeiter wurde dahingehend geplant und wird gerade implementiert, währen dich diese Zeilen schreibe. Da gibt es keinen Weg mehr zurück in die „alte Normalität“, um gleich noch einen dieser Begriffe zu nutzen.
Meine neue Normalität
Warum sollte man auch über einen Weg zurück überhaupt nachdenken? Wieviel Zeit habe ich alleine gespart, weil ich mich seit März nicht mehr jeden Tag in den täglichen Stau der Rush Hour eingereiht habe? Und ich habe noch einen relativ kurzen Arbeitsweg verglichen mit einigen Kollegen, die fünfzig Kilometer oder sogar mehr zu fahren haben – eine Strecke. Nebenbei tun wir da auch noch sicherlich alle etwas für das Klima, was die Satellitenbilder währen des ersten Lockdowns eindrucksvoll verdeutlicht haben. Und wie steht es um die vielzitierte Work-Life-Balance? Sicherlich überschneiden sich Privat- und Berufsleben jetzt immer mehr. Aber jeder kennt sicherlich die Situation, wenn sich ein Monteur ankündigt, um etwas im Haus zu reparieren. Oder man muss einen Arzttermin irgendwie in den vollen Kalender hineinquetschen. Wenn man auch flexibel von zuhause arbeiten kann, ist das alles viel leichter zu organisieren. Wann habe ich früher unter der Woche mit der Familie zusammen zu Mittag essen können? Weihnachten und Ostern. Gut, vielleicht ist das ein bisschen übertrieben. Aber es gibt natürlich auch andere Perspektiven wie die der jungen Familien mit kleinen Kindern, die Homeschooling machen mussten – noch einer der Begriffe des Jahres 2020 – und bei denen der Küchentisch als Home Office dient. Darüber hinaus soll es auch Leute geben, die froh sind, wenn sie ihre Familie nicht ständig sehen müssen. Aber ich will ja hier bewusst über meine Sicht der Dinge schreiben.
Die Schattenseiten
Hört sich alles zu positiv und blumig an? Natürlich lief auch bei mir nicht alles rund in 2020. Ich kann zum Beispiel die Diskussion über die Situation der alten Menschen in den Alten- und Pflegeheimen gut nachvollziehen. Zum einen, weil ich einen guten Freund habe, der das alles hautnah mit seiner 94-jährigen Mutter miterleben musste. Und zum Zweiten, weil ich selbst Eltern habe, die über achtzig Jahre alt sind, zwar noch im eigenen Hausstand leben, aber auch viele ihrer lebgewonnen Gewohnheiten aufgeben mussten, die das Leben schön und lebenswert machen. Da schleicht sich dann gerne des Öfteren eine leichte Depression ein, die man sehr schnell in der Stimme am Telefon erkennen kann. Das hat mich dieses Jahr viel öfter als sonst bewogen, ins Auto zu steigen, in meine alte Heimat zu fahren und einfach nur für meine Eltern da zu sein. Wenn ich dann noch innerhalb von drei Monaten zweimal mit unserem jüngsten Sohn zum Corona-Test muss, weil es einen oder mehrerer Infektionsfälle in seiner Schulklasse gab, kann ich mir auch schönere Freizeitbeschäftigungen vorstellen. Ganz zu schweigen von der Unsicherheit, ob sich nicht vielleicht die ganze Familie angesteckt hat.
Alles ist relativ
Ich höre viele Leute klagen über die Krise, in der wir uns befinden, und die in den Tagen, an denen ich diese Zeilen schreibe, wieder einen neuen Höhepunkt erlebt. Meist sind es aber die Leute, die am wenigsten Grund zum Klagen haben. Natürlich könnte ich jetzt alles nur negativ sehen, denn so viel Positives gab es im Jahr 2020 ganz nüchtern betrachtet wirklich auch bei mir nicht. Mehrere Male ist unser geplanter Urlaub dem Virus zu Opfer gefallen, ganz zu schweigen von Feiern, Events oder Ähnlichem. Geschäftlich sind die Dinge definitiv nicht so gelaufen, wie ich mir und alle meine Kollegen sich das noch bis Anfang März vorgestellt hatten. Aber meine Lieblingsphrase ist eine, die auf den ersten Blick wirklich sehr oberflächlich und auch reichlich abgedroschen klingt: „Alles ist relativ“. Die Bedeutung dieser Phrase wurde mir erst so richtig während meines mehrjährigen Aufenthalts in Brasilien bewusst. Für die Probleme, die wir in Deutschland diskutieren, haben viele Brasilianer nur ein müdes Lächeln übrig. Das gilt sogar sehr wahrscheinlich auch im Hinblick auf die Corona-Pandemie, wenn man die Situation in Brasilien mit Deutschland vergleicht. Aber was ist ein ausgefallener Urlaub verglichen mit dem Überlebenskampf von vielen Patienten, die auf den Intensivstationen künstlich beatmet werden. Und was ist eine Wachstumsdelle im Geschäft in diesem und wahrscheinlich auch noch dem nächsten Jahr verglichen mit den vielen Existenzen, die teilweise über Generationen aufgebaut wurden und die das Virus in wenigen Wochen zerstört hat? Alles ist relativ.
Das Positive mitnehmen
2020 war ein besonderes Jahr, ein schwieriges Jahr. Aber 2020 war auch ein Jahr, in dem ich an vielen Stellen weniger Egoismus, mehr Kollegialität, mehr Freundschaft, mehr Gemeinschaftsgefühl, mehr Fokus auf das Wesentliche und nicht zuletzt mehr Menschlichkeit beobachten konnte. Die Zeiten werden auch wieder besser werden, da bin ich mir ganz sicher. Hoffentlich behalten wir dann zumindest einige der genannten Verhaltensweisen und Eigenschaften trotzdem bei.
Frohe Weihnachten für alle, die Weihnachten feiern, und uns allen ein glückliches, erfolgreiches und vor allem ein gesundes Jahr 2021!