Das agile Arbeitsumfeld

Wie man meinem Lebenslauf entnehmen kann bin ich zwischen 2006 und 2016 sozusagen aus der Unternehmensarbeitswelt „ausgestiegen“. Nicht dass ich sagen möchte, ich hätte mich bewusst von allen neuen Entwicklungen ferngehalten, aber wenn man nicht mehr täglich im Umfeld einer größeren Firmenorganisation arbeitet, gehen eben auch der ein oder andere Trend schlichtweg an einem vorbei. Technologie hat mich immer interessiert und technologische Entwicklungen kann man auch dann aktiv verfolgen, wenn man nicht mehr jeden Tag beruflich damit zu tun hat. Etwas anders sieht es aus, wenn es um neue Arbeitsmethoden und Führungsstile geht. So habe ich mich bei meinem Wiedereinstieg praktisch von heute auf morgen damit anfreunden müssen, dass jetzt alles „agil“ ist. Das Projektmanagement, die Produktentwicklung, die Unternehmensprozesse, der Führungsstil, die Organisation und noch so vieles mehr, im Prinzip das ganze Arbeitsumfeld. Dazu kommen dann noch Schlagworte wie Design Thinking, Scrum, Sprint, User Story und neue Positionen im Unternehmen wie der Scrum Master oder der Agile Coach.

Starre Arbeitsweisen haben ausgedient

Ich möchte hier gleich vorwegnehmen, dass ich keiner der Menschen bin, die nach dem Motto „früher was alles besser“ oder „was soll der ganze moderne Quatsch“ leben. Ganz im Gegenteil. Wie in meinem Blog „Der strategische Wendepunkt“ beschrieben, bin ich überzeugt, dass Unternehmen gerade im Technologiebereich heute sehr agil sein müssen, um langfristig am Markt zu bestehen. Starre Arbeitsweisen und Organisationen haben definitiv ausgedient. Selbst öffentliche Verwaltungen müssen oder sollten sich heutzutage dieser Herausforderung stellen.

Es gibt unzählige Definitionen für den Begriff Agilität im Zusammenhang mit dem Management einer Organisation. Die folgende auf Wikipedia gefällt mir persönlich ganz gut:

„Agilität ist ein Merkmal des Managements einer Organisation (Wirtschaftsunternehmen, Non-Profit-Organisation oder Behörde), flexibel und darüber hinaus proaktiv, antizipativ und initiativ zu agieren, um notwendige Veränderungen einzuführen.“

Agile Unternehmen waren schon immer erfolgreicher

Agile Unternehmen gab es definitiv schon immer, auch bevor man daraus eine neue Lehre gemacht hat. Meist oder eigentlich immer sind es genau die Unternehmen, die nach vielen Jahren immer noch erfolgreich sind, auch wenn man einige von ihnen schon ein paar Mal abgeschrieben hatte. Intel, Microsoft, Apple und SAP sind einige der namhaften Beispiele. Aber auch nicht so schillernde Namen wie die Firma Otto darf man hier einreihen, ein mittlerweile 70 Jahre altes Versandhaus mit Sitz in Hamburg, das noch bis Ende 2018 seine berühmten Otto-Kataloge gedruckt und versendet hat. Heute ist die Firma für viele besser bekannt als „otto.de“ und wird selbst von Amazon als größter Konkurrent auf dem deutschen Markt gesehen. Während andere große Versandhäuser wie Quelle schon lange vom Markt verschwunden sind, hat es Otto geschafft, rechtzeitig das Ruder herumzureißen, sein Geschäft vom Katalog auf einen Online-Shop umzustellen und auch ein neues, moderneres Markenimage zu kreieren. Unzählige andere Firmen wie das schon genannte Versandhaus Quelle, aber auch viele größere Namen wie beispielsweise AOL, Sun Microsystems, Yahoo oder Compaq spielen keine wesentliche Rolle mehr oder sind völlig vom Markt verschwunden, obwohl sie einmal führend in ihren jeweiligen Bereichen waren.

Ein Beispiel aus Deutschland

Der deutsche Konzern Nixdorf Computer AG war einmal das Aushängeschild der deutschen IT-Industrie, wurde dann mit der IT-Sparte von Siemens zur neuen Firma Siemens-Nixdorf fusioniert, bevor der Name Nixdorf nach der Übernahme durch Fujitsu letztendlich völlig verschwand. All die zuletzt genannten Firmen haben leider nicht proaktiv, antizipativ und initiativ agiert, sondern sich mehr oder weniger auf ihrem Erfolg ausgeruht und dabei nicht bemerkt, dass sich der Markt gerade grundlegend verändert. Ich selbst habe nach meinem Studium bei Nixdorf als Systemprogrammierer gearbeitet und das Jahr des Untergangs miterlebt. Es war die Zeit, als der Personal Computer seinen Siegeszug antrat und sich die IT-Welt von einem vertikalen Model auf ein horizontales Modell drehte. Nixdorf war mit dem vertikalen Modell sehr erfolgreich geworden, nämlich Hardware, Betriebssystem und Anwendungssoftware aus einer Hand anzubieten, dafür ordentliche Preise zu verlangen und hohe Gewinne zu machen. Als sich das Umfeld schlagartig änderte, war es schon zu spät das Ruder noch herumzureißen und die Firma machte von einem Jahr auf das andere mehr als eine Milliarde Deutsche Mark Verlust. Das Unternehmen war sehr hierarchisch organisiert und wurde mit stark angezogenen Zügeln vom Gründer und in den letzten Jahren auch von seinem Nachfolger geführt. Sicherlich gab es viele schlaue Köpfe innerhalb der Organisation, die den Wandel im Markt schon vorausgesehen haben und bestimmt auch gute Ideen hatten, wie man diesem Wandel begegnen kann. Allerdings war es in einer solch starren Organisation mit ebenso starren Arbeitsabläufen völlig unmöglich irgendetwas sozusagen von unten zu verändern.

Auch erfolgreiche Unternehmen können irren

Interessant ist, dass auch das Management von den heute noch sehr erfolgreichen Firmen einige Entwicklungen manchmal völlig falsch eingeschätzt hat. Steve Ballmer, ehemaliger CEO von Microsoft, sagte im Jahr 2007 (übersetzt aus dem Englischen):

„Es gibt keine Chance, dass das iPhone einen signifikanten Marktanteil gewinnt. Keine Chance.”

Kein Wunder, dass Microsoft auf dem Smartphone-Markt nie erfolgreich war. Der heutige CEO Satya Nadella ist da definitiv agiler, um wieder auf das Kernthema zurückzukommen. Er hat Microsoft ziemlich umgekrempelt, um das Unternehmen weiter von seinen Windows-Wurzeln zu lösen und das Geschäft stärker auf Cloud-Dienste und künstliche Intelligenz zu fokussieren. Das heutige Microsoft-Management agiert momentan definitiv proaktiv, antizipativ und initiativ, und der Erfolg gibt ihm recht.   

Die Mischung macht den Unterschied

Doch die Welt ist nicht schwarz-weiß. Deswegen wird aus meiner Sicht eine uneingeschränkt agile Arbeitsweise in allen Bereichen auch nicht funktionieren. Ich lasse mich sogar dazu hinreißen zu sagen, dass das im Extremfall zum Chaos führen kann. Im gleichen Wikipedia-Artikel, aus dem ich schon vorher zitiert habe, wird auch auf die Schwächen der Agilität eingegangen:

„In stabilen Organisationen wird dem Qualitätsmanagement (QM) ein hoher Stellenwert eingeräumt. „Klassisches“ QM ist stark prozessorientiert. Ein QM-System, das an die Bedürfnisse agiler Organisationen angepasst ist, ist bisher nicht entwickelt. Agilität im Management von Organisationen geht daher möglicherweise zu Lasten der Qualität der Produkte und Leistungen.“

Dem würde ich uneingeschränkt zustimmen. Nicht weil es sich gut anhört, sondern weil ich es selbst schon genauso erlebt habe. Ich denke, dass hier wie bei vielen anderen Dingen im Leben die Lösung irgendwo in der Mitte liegt. Ein agiles Umfeld braucht auch eine stabile funktionierende Organisation, einen festgelegten Rahmen, in dem man sich bewegt, und vor allem klare Zielvorgaben. Letzteres kann man beispielsweise nach meiner eigenen Erfahrung sehr gut in Kombination mit der OKR-Methode (Objectives/Key Results) erreichen. Darüber hinaus ist eine agile Arbeitsweise nicht überall in jedem Bereich in gleicher Weise anwendbar. In der Software-Entwicklung beispielsweise setzt man schon relativ lange auf agile Arbeitsmethoden, während man in anderen Bereichen bis heute nur teilweise oder überhaupt nicht mit diesen Instrumenten arbeitet. Manchmal wird Agilität in anderen Bereichen sogar eher kritisch gesehen.

Flexibel und proaktiv agieren

Am Ende ist es mit den agilen Arbeitsmethoden wie mit allem. Man soll sie dort anwenden, wo sie Sinn machen. Einfach neue Konzepte über alles stülpen, nur weil sie gerade im Trend liegen oder in einem anderen Teilbereich gut funktionieren, macht definitiv keinen Sinn. Am Ende geht es auch nicht nur um die theoretisch beschriebenen und definierten agilen Methoden. Viel wichtiger ist die Agilität einer Organisation im Allgemeinen, nämlich wie in der Definition eingangs erwähnt, flexibel, proaktiv, antizipativ und initiativ zu agieren.

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