Ein Coach geht von Bord

Im August, nachdem der FC Bayern München das Finale der Champions League und damit zum zweiten Mal das begehrte „Triple“ (Champions-League, deutsche Meisterschaft und DFB-Pokal) gewonnen hatte, habe ich einen Blog mit dem Titel „Der Coach ist der bessere Trainer“ geschrieben. Danach haben der Coach und sein Team in der gleichen Saison noch drei weitere Titel (nationaler Super-Cup, UEFA-Super-Cup und FIFA-Club-WM) und damit das „Sextuple“ gewonnen. Dieser Begriff wurde 2009 erstmals verwendet, als der FC Barcelona das Gleiche zum bisher einzigen Mal geschafft hatte. Was kann nach so einem riesigen Erfolg noch kommen? Im allerbesten Fall das Gleiche oder aber, sehr viel wahrscheinlicher, wesentlich weniger.

Schuld ist der Coach

So kam es auch beim titelverwöhnten FC Bayern. Die Corona-Pandemie nimmt kein Ende. Gute Spieler lässt man ziehen und ersetzt sie nur halbherzig und vor allem ohne echte Beteiligung des Trainers. Die vielen Spiele fordern ihren Preis, weil auch der austrainierter Körper eines Profisportlers irgendwann einmal versagt. Plötzlich ist der Kader extrem dünn und es läuft nicht mehr so glatt wie im Jahr vorher. Jetzt wird es höchstwahrscheinlich „nur noch“ die deutsche Meisterschaft. Dafür muss sich wie immer primär der Trainer verantworten, der aus meiner Sicht ein echter Coach ist und gerade auch deshalb die Erfolge eingefahren hat. Anscheinend knirscht es schon lange zwischen Teilen des Vorstands und dem Trainer, der nicht wirklich mitreden und vor allem nicht reinreden soll, wenn es um Entscheidungen bezüglich des Spielerkaders geht. Man weiß natürlich nicht alles, was hinter verschlossenen Türen besprochen wurde und wird, aber man konnte dem Coach in den letzten Wochen sehr deutlich ansehen, dass es bei ihm den berühmten Knacks gegeben hat. Er hat dann auch die erwartete Konsequenz gezogen und um Vertragsauflösung gebeten.  

… auch im Unternehmen

Warum rede ich jetzt schon wieder, genau wie im Blog vom August 2020, so viel über Fußball? Ganz einfach. Weil man auch hier alles wieder sehr schön auf die Unternehmenswelt übertragen kann. Läuft alles in die richtige Richtung oder sogar besser als erwartet, ist jeder ein Held und alle liegen sich in den Armen. Kommt eine schwierigere Zeit, so wie wir sie beispielsweise jetzt seit mehr als einem Jahr erleben, dann ändert sich das Betriebsklima ganz schnell. Mitarbeiter verlassen das Unternehmen oder müssen es verlassen und werden aus Kostengründen erst einmal nicht ersetzt. Andere sind überarbeitet und bringen nicht mehr die Leistung wie gewohnt. Auch das Umfeld wird schwieriger, weil die Kunden und Geschäftspartner mit der gleichen Situation kämpfen. Dann passiert es nicht selten, dass die Dinge zur „Chefsache“ gemacht werden, weil die zuständigen Personen mutmaßlich nicht mehr ihren Job machen. Meist trifft es in diesem Fall genau diejenigen Führungskräfte besonders hart, die in ihrer Position mehr Coach als der „harte Manager“ sind.

Man braucht das richtige Händchen

Auch oder gerade in Krisenzeiten ist es aus meiner Sicht völlig kontraproduktiv, das Team nur vor sich herzutreiben, noch mehr Druck auszuüben oder gar zu drohen. In Krisenzeiten sind Führungskräfte, die ihr Team durch solche Phasen sensibel coachen erst recht gefragt. Gerade in Situationen, die wir jetzt erleben, in denen viele Mitarbeiter neben den beruflichen auch mit vielen privaten Herausforderungen zu kämpfen haben, muss man das richtige Händchen haben, damit das Team am Ball bleibt, um noch einmal eine Fußballmetapher zu verwenden. Man muss jetzt noch näher an den Mitarbeitern sein, die verfügbaren Ressourcen bestmöglich nutzen, dem Team jetzt noch mehr zur Seite stehen und vor allem immer ein offenes Ohr haben. Und man sollte vor allem die kleinen Erfolge feiern statt ständig zu kritisieren, dass man möglicherweise aus bekannten Gründen das große Ziel verfehlt. Letzteres muss man tun, wenn alle Rahmenbedingungen optimal sind und es trotzdem in die falsche Richtung läuft. Allerdings nicht, wenn der Wasserspiegel steigt und vieles um einen herum versinkt, aber man selbst noch recht komfortabel auf einem grünen Hügel sitzt.

In der Krise zeigt sich das wahre Gesicht

In Krisenzeiten kommt plötzlich vieles zum Vorschein, was eigentlich vorher auch schon da war, aber unter den Teppich des gemeinsamen Erfolgs gekehrt wurde. Plötzlich werden wieder Hierarchien gelebt, Entscheidungen werden von ganz oben top-down getroffen und Mikromanagement ist angesagt. Man stellt auf einmal fest, dass alles doch gar nicht so harmonisch ist, wie es den Anschein hatte. Und dann wird es leider auch oft noch politisch. Wer kann sich am besten positionieren? Auf welche Seite schlägt man sich? Wie kommt man möglichst unbeschadet aus dem Ganzen heraus? Wie kann man die ganze Situation vielleicht sogar noch zu seinem Vorteil nutzen? Die Führungskräfte, die den Sinn ihrer Arbeit woanders sehen und ihre Kraft genau darauf verwenden wollen anstatt sich auf diese politischen Spielchen einzulassen, gehen dann oft von Bord – so wie der Coach des FC Bayern München. Leider. Denn gerade in schwierigen Zeiten braucht man genau solche Leute. Das ist zumindest meine feste Überzeugung!

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